Welches Beispiel zeigt eine vermeintliche Schwäche von Frauen, die eigentlich eine Stärke ist?
Janine: Ein gutes Beispiel sind Dr. Ulrike Pfreundt, Marie Griesmar und Hanna Kuhfuß, die das Start-up rrreefs gegründet haben und Korallenriffe mithilfe von 3-D-Druck nach- und wieder aufbauen. Das Thema haben wir bereits in Henkel-Podcast Fritz for Future besprochen. Es zeigt, dass Komplexität eine Stärke ist. Bevor sie das Projekt nämlich gestartet haben, haben sie erst mal alle wichtigen Fragen gestellt. Diese waren naturwissenschaftlicher, technischer, aber auch künstlerischer Natur – der Sachverhalt wurde also genau aus jeder Perspektive beleuchtet. Erst nachdem sie eine ganzheitliche Strategie erarbeitet hatten, die sämtliche Aspekte aufgriff, legten sie los. Heute zeigt sich an ihrem besonders erfolgreichen Pilotprojekt in Kolumbien, dass der komplexere – dem weiblichen zugeordnete – Weg der richtige war.
Welche Vorteile erwachsen aus der gesellschaftlichen Anerkennung des weiblichen Prinzips und einer Gleichwertigkeit der Geschlechter?
Janine: Durch die Gleichwertigkeit würden alle Vorteile erfahren – auch Männer, indem sie sich ein Stück weit mehr entspannen könnten. Dann wäre es vielleicht auch so, dass sich weniger Männer durch den linearen Weg des „höher, schneller, weiter” unter Druck gesetzt fühlten, sondern auch mal laut sagen könnten: „Da sehe ich mich nicht“.
Ines: Richtig, indem man sich an einem neuen zyklischen Leistungsmodell, das sich in der Natur wiederfindet, orientieren würde, sänke der Performancedruck. Solche zyklischen Modelle sehen wir zum Beispiel bei Sportler:innen. Sie haben extreme Trainingsphasen und auch Phasen der Entspannung. Und so ist es bei uns allen doch auch. Wir haben Tage, an denen wir voller Power sind und Tage, an denen wir weniger Energie haben. Wenn Männer dazu auch öfter öffentlich stehen könnten, wäre das sicher entlastend. Außerdem können weibliche Stärken zur Risikominimierung beitragen, indem sich auch um unangenehme Themen gekümmert und ihnen mit Weitsicht begegnet wird. Der dritte Punkt zielt auf das Wohlbefinden ab. Weibliches zeichnet sich durch Kümmerndes aus. Es achtet darauf, dass man sich stärkt. Das ist ein großer Mehrwert – vor allem mit Blick auf die mentale Gesundheit.
In Deutschland sprechen wir schon seit Jahrzehnten über das Thema Gleichberechtigung – ist das mit Blick auf andere Länder überhaupt legitim?
Ines: Ich finde das sehr wichtig. Es ist auch kein Jammern auf hohem Niveau. Laut Demokratie-Index leben insgesamt nur 22 Länder der Welt eine vollständige Demokratie und damit 6,4 Prozent der Weltbevölkerung. Und das hat sich in den letzten Jahren einfach auch noch mal verschlechtert. Das führt uns vor Augen, dass wir hier in Deutschland für die Länder, die nicht demokratisch leben, die Stimme erheben sollten. Nur die Menschen, die frei ihre Meinung äußern können, können auch in der restlichen Welt etwas bewegen. Deshalb ist es wichtig, dass wir weiterhin sagen: „Wir brauchen die Gleichwertigkeit, wir brauchen sie hier und wir brauchen sie weltweit.“