Prof. Dr. Rüdiger Hahn: Richtig, aber von einer finalen Lösung sind wir weit entfernt. Viel eher kann man verschiedene Anhaltspunkte nennen, die bei der Überwindung der Lücke helfen können. Diese sind vielfältig, weil wiederum die Gründe ganz unterschiedlichen Ursprungs sein können. Der fehlende Glaube an sich selbst kann zum Beispiel ein Grund sein. Oder auch die Überzeugung, dass der oder die Einzelne allein nichts erreichen kann. Durch Aufklärung und Bildung kann man gegen diese Ansichten etwas bewirken. Ein weiteres Problem ist die Bequemlichkeit der Menschen. Wenn man durch neue Produkte das Leben der Menschen vereinfachen kann und sie schließlich merken, dass nachhaltige Lösungen nicht gleich Verzicht bedeuten, dann ist ein weiterer wichtiger Schritt getan.
Stefanie Fella: Ein wichtiger Faktor ist definitiv der „Spillover-Effekt“. Diesen Effekt gibt es sowohl in negativer als auch positiver Ausführung. Positiv wäre, wenn man beispielsweise anfängt mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und daraus gleichzeitig mehrere Vorteile zieht. Man tut etwas Gutes für die Umwelt und wird gleichzeitig fitter. Solche Begleiterscheinungen motivieren mich, dieses Verhalten auch in andere Bereiche zu übertragen. Doch das Erlebnis gibt es leider auch in negativ. Wir sprechen von „Moral Licensing“, wenn man anfängt die eigenen weniger nachhaltigen Handlungen mit bereits getanen nachhaltigeren zu rechtfertigen. Zum Beispiel versucht man das Stück Fleisch zum Abendessen damit auszugleichen, dass man tagsüber mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren ist. Wir sehen, beim Spillover-Effekt geht es tatsächlich in beide Richtungen und es kommt immer darauf an, was die jeweilige Person daraus macht und was sie dabei empfindet.
Alternative Fortbewegungsmittel müssen bequem und günstig sein, damit sie genutzt werden.
Wie sieht es in Bezug auf die Industrie aus? Immer mehr junge Unternehmen streben einen Wandel in der Gesellschaft an und denken Prozesse und Produkte neu. Wie können nachhaltige Entwicklungen so umgesetzt werden, dass sie von Kund:innen angenommen werden?
Stefanie Fella: Was wir mittlerweile wissen: Nachhaltigere Unternehmen oder Geschäftsmodelle haben Erfolg, welche die gleichen Kundenbedürfnisse ansprechen und erfüllen, wie die konventionellen Modelle. Wenn das nicht der Fall ist, werden die Angebote von den Kund:innen oft nicht genutzt. Wenn ich das Ziel habe, von A nach B zu kommen und dies mit einem Sharing-Dienst bequem und günstig erreichen kann, dann habe ich eine echte Alternative zum eigenen Auto. Diese kann ich zukünftig in meine Entscheidungsfindung mit einbeziehen. Zudem sollten neue Geschäftsmodelle relativ einfach sein. Je anspruchsvoller ein neues gewünschtes Verhalten ist, desto schwieriger wird auch die Umsetzung. Für die neue Lösung muss ich im besten Fall keine Abstriche machen. Je radikaler der Umbruch, desto schwieriger ist es ihn durchzusetzen.
Prof. Dr. Rüdiger Hahn: Das Konzept der Unverpacktläden ist zum Beispiel so ein radikaler Umbruch im normalen Einkaufsverhalten. Wenn man solch einen Laden eröffnet, wird man schnell feststellen, dass dort zuerst nur Leute einkaufen, die im Bereich Nachhaltigkeit sensibilisiert sind. Das ist aber nicht die große Masse. Diese bekommt man, wenn die Änderungen normaler werden und sich in der Mitte der Gesellschaft etablieren oder die neue Lösung einfacher ist als die konventionelle. Anfangen könnte man deshalb mit einem Stand oder einer Unverpackt-Ecke in einem Supermarkt, um die Kunden und Kundinnen langsam heranzuführen. Mit diesem Vorgehen versucht man, Änderungen erstmal Stück für Stück umzusetzen, um die Menschen schrittweise an neue Lösungen heranzuführen.