Interview

Nachhaltigen Wandel vorantreiben: Wie Henkel das Massenbilanzverfahren für Kunststoffverpackungen einsetzt

Ein Interview mit Bochen Shu, Packaging Sustainability Engineer bei Henkel Consumer Brands

Klimaschutz 25.07.2025

Um die Verpackungen unserer Wasch- und Reinigungsmittel sowie unserer Haar- und Körperpflegeprodukte nachhaltiger zu gestalten, entwickelt Henkel kontinuierlich intelligente Verpackungslösungen, die auf Wiederverwendung und Recycling ausgerichtet sind. Dabei setzen wir auf die Reduzierung von fossilem, neu produziertem Kunststoff und den verstärkten Einsatz von recyceltem Plastik. Wo es bislang noch keine technischen Lösungen für den Einsatz von Rezyklat gibt, suchen wir nach neuen Ansätzen – wie zum Beispiel dem Massenbilanzverfahren für Kunststoffverpackungen. Die Initiative wird maßgeblich begleitet von Bochen Shu, Packaging Sustainability Engineer bei Henkel Consumer Brands. Er treibt das Massenbilanz-Projekt voran – koordiniert abteilungsübergreifende Aktivitäten, begleitet Zertifizierungsprozesse und sorgt für eine reibungslose Zusammenarbeit im gesamten Unternehmen. In diesem Interview gewährt er Einblicke hinter die Kulissen und teilt die Herausforderungen, Meilensteine und langfristige Vision des Massenbilanzverfahrens.

Was ist das Massen­bilanz­verfahren und warum hat Henkel sich dafür entschieden?

Bochen: Im Produktionsprozess unserer Lieferanten werden erneuerbare und fossile Rohstoffe kombiniert, um den Kunststoff für die Körbchen unserer WC-Steine herzustellen. Dieser Massenbilanzprozess und die Zuordnung der Rohstoffe werden von der unabhängigen Zertifizierungsorganisation, ISCC PLUS, überprüft. Um den Massenbilanzansatz besser zu verstehen, lässt er sich gut mit dem Bezug von Ökostrom vergleichen: Auch wenn für Ökostrom gezahlt wird, bedeutet das nicht gleich, dass der Strom, der in das Haus gelangt, auch direkt aus erneuerbaren Quellen stammt. Es ist jedoch sichergestellt, dass die eingekaufte Energiemenge an anderer Stelle durch grüne Technologien erzeugt wird. So ist es auch beim Massenbilanzverfahren.

Wir haben uns für das Massenbilanzverfahren entschieden, da es derzeit noch erhebliche technische Herausforderungen gibt, den Anteil an recyceltem Kunststoff für die Plastikkörbchen unserer WC-Steine weiter zu erhöhen. Erstens, die Verfügbarkeit: Das für unsere Produktverpackung benötigte Post-Consumer-Recyclingmaterial (PCR) ist transparentes recyceltes Polypropylen (PP). Diese Ressource ist sehr selten und schwer in hoher Qualität zu beschaffen. Zweitens, die Sicherheit: PCR-Material weist geringere mechanische Eigenschaften auf. Es gibt jedoch bestimmte Eigenschaften der Körbchen, bei denen wir keine Kompromisse eingehen können. Zum Beispiel müssen unsere Körbchen kindersicher sein. PCR-Materialien haben größere Toleranzen in der Spezifikation und schwankende Qualität, was das Druckverschluss-System beeinflusst, das sicherstellt, dass unsere Körbchen nicht von Kindern geöffnet werden können. Drittens, die Ästhetik: Unser Produkt soll Frische in die Toilettenschüssel bringen. Eine erhöhte Verwendung von PCR-Material führt zu einer gelblichen Färbung und dem Auftreten von schwarzen Punkten in den Körbchen, was als unhygienisch und schmutzig wahrgenommen wird. Da es derzeit keine technische Lösung gibt, um diese Herausforderungen zu überwinden und den Anteil an recyceltem Kunststoff für die transparenten Körbchen unserer WC-Steine weiter zu erhöhen, suchen wir nach neuen Lösungen und haben uns für das Massenbilanzverfahren entschieden.

Ein Portraitfoto von Bochen Shu.

Im Produktionsprozess unserer Lieferanten werden erneuerbare und fossile Rohstoffe kombiniert, um den Kunststoff für die Körbchen unserer WC-Steine herzustellen. Dieser Massenbilanzprozess und die Zuordnung der Rohstoffe werden von der unabhängigen Zertifizierungsorganisation, ISCC PLUS, überprüft.

Das Massenbilanzverfahren erklärt:

YouTube Thumbnail Massenbilanzverfahren Plastik (Thumbnail)

 

Wie trägt das Massen­bilanz­verfahren zur Reduzierung von CO₂-Emissionen bei?

Bochen: Mit dem Massenbilanzverfahren investieren wir in die Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten, um den Anteil an nachwachsenden Rohstoffen für die Herstellung von Kunststoff zu erhöhen und so zur Reduzierung unseres CO₂-Fußabdrucks beizutragen. Wie groß der Effekt ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Im Vergleich zu konventionellem, auf fossilen Rohstoffen basierendem Neuplastik wird der auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellte Kunststoff einen um 10.000 Tonnen CO₂ geringeren Fußabdruck pro Jahr aufweisen, basierend auf denselben Verkaufszahlen wie im Vorjahr. Um das greifbarer zu machen: Das entspricht der Menge CO₂, die 500.000 Bäume pro Jahr aufnehmen.

Diese Art der Reduktion ist für uns entscheidend – insbesondere im Hinblick auf unsere langfristigen Nachhaltigkeitsziele: Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen in unserer Lieferkette um 30 Prozent bis 2030 sowie eine absolute Reduktion aller Emissionen um 90 Prozent bis 2045, jeweils bezogen auf das Basisjahr 2021. Diese Ziele sind Teil unserer langfristigen Net-Zero-Strategie. Verpackungen fallen unter Scope-3-Emissionen – also Emissionen aus der Lieferkette – und machen den größten Teil des gesamten CO₂-Fußabdrucks von Henkel aus.

Wie wird das Massen­bilanz­verfahren zertifiziert und warum ist die Zertifizierung wichtig?

Bochen: Wir verwenden das Zertifizierungssystem ISCC PLUS, das Teil des umfassenderen Systems der International Sustainability and Carbon Certification (ISCC) ist. Diese Zertifizierung ist sehr wichtig, da wir nicht garantieren können, dass der Kunststoff, den unsere Lieferanten für unsere Verpackungen liefern, direkt aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt wurde. Durch die ISCC PLUS-Zertifizierung ist jedoch sichergestellt, dass die Menge an erneuerbaren Rohstoffen, die zur Herstellung des Kunststoffs für die Körbchen unserer WC-Steine benötigt wird, tatsächlich von unseren Lieferanten bezogen und verwendet wird. Deshalb wird der Ansatz als „Massenbilanz“ bezeichnet.

Die Körbchen unserer WC-Steine bestehen zu 30 Prozent aus recyceltem Kunststoff. Für die verbleibenden 70 Prozent finanzieren wir den Austausch fossiler Rohstoffe durch erneuerbare, die im Rahmen des ISCC-Massenbilanz-Ansatzes zugewiesen werden.

Ein Portraitfoto von Bochen Shu.

Mit dem Massenbilanzverfahren investieren wir in die Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten, um den Anteil an nachwachsenden Rohstoffen für die Herstellung von Kunststoff zu erhöhen und so zur Reduzierung unseres CO₂-Fußabdrucks beizutragen.

Für welche Produkt­verpackungen wird das Massen­bilanz­verfahren derzeit genutzt und gibt es Pläne, es auf weitere Produkte auszuweiten?

Bochen: Wir setzen das Massenbilanzverfahren bereits für die transparenten Kunststoff­körbchen unserer WC-Steine ein und arbeiten aktiv daran, diese Lösung auch auf die übrigen Variationen der festen Steine auszuweiten, um in naher Zukunft auch hier einen nachhaltigeren Ansatz zu gewährleisten. Als Brückentechnologie unterstützt das Massenbilanz­verfahren diesen Übergang, indem er bereits heute eine Reduzierung des Einsatzes fossiler Ressourcen ermöglicht.

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