Ob Windrädermaterialien, Textilien, Kunststoffbeschichtungen oder Autos: Fast alles basiert auf Kohlenstoff. In der Chemieindustrie war und ist Kohlenstoff ein Basisrohstoff von Anfang an. Ein überwiegender Teil der derzeit verwendeten Kohlenstoffquellen sind fossilen Ursprungs wie Erdöl, Erdgas oder Kohle, die aus dem Boden gewonnen werden. Diese sind jedoch nicht unbegrenzt verfügbar und setzen früher oder später durch Verbrennung oder Verrottung große Mengen an CO2 frei, was den Klimawandel beschleunigt. Eine Lösung ist es, die Industrie auf die Nutzung von erneuerbarem Kohlenstoff umzustellen. Was erneuerbarer Kohlenstoff ist und wie ein Umstieg gelingen kann, erklärt Adrian Brandt. Als Leiter der Forschungsplattform Bio-Renewable Materials im Bereich Adhesive Technologies bei Henkel beschäftigt er sich mit einer zentralen Frage: Wie können Rohstoffe auf der Basis von erneuerbarem Kohlenstoff und vor allem biobasierte Rohstoffe in der Industrie zu einer nachhaltigeren Zukunft beitragen?
1. Was versteht man unter erneuerbarem Kohlenstoff?
Adrian Brandt: Erneuerbarer Kohlenstoff umfasst alle Kohlenstoffquellen, die die Verwendung von zusätzlichem fossilem Kohlenstoff, also Erdgas, Erdöl und Kohle, vermeiden oder ersetzen. Für erneuerbaren Kohlenstoff kommen drei Quellen infrage: Biomasse, Recycling vorhandener Kunststoffe und Materialien oder CO2 aus Luft und Abgasen.
2. Wie lassen sich Materialien auf der Basis von erneuerbarem Kohlenstoff gewinnen?
Adrian Brandt: Rohstoffe und Chemikalien für Klebstoffe oder andere Anwendungen lassen sich zum Beispiel aus Biomasse gewinnen. Das ist eine mögliche Quelle für Materialien auf der Basis von erneuerbarem Kohlenstoff. Unter Biomasse fällt einfach gesagt alles, das wächst und irgendwann einmal grün ist, also alle organischen Stoffe pflanzlichen Ursprungs. Man unterscheidet hier zwischen drei Generationen: Die erste Generation Biomasse umfasst die Frucht der Pflanze, zum Beispiel Stärkepflanzen wie Mais oder Kartoffeln. Der Rest der Pflanze, die Blätter und Stängel, zählen zur zweiten Generation. Die Fachwelt nennt das Lignocellulose. Algen stellen die dritte Generation Biomasse dar.
Dann gibt es noch die Möglichkeit, erneuerbaren Kohlenstoff durch Recycling zu gewinnen. Recyclen kann man alles, sowohl Materialien und Müll auf der Basis von erneuerbarem (aus Biomasse, Recycling oder CO2 aus Luft und Abgasen) als auch auf der Basis von fossilem Kohlenstoff. Chemische Grundstoffe lassen sich beispielsweise aus Abfall gewinnen, etwa aus Kunststoffverpackungen. Mithilfe neuer Technologien können solche Grundchemikalien wie Ethanol auch aus der Luft oder Abgasen gewonnen werden.
3. Wie funktioniert das genau? Wie lässt sich CO2 aus Luft und Abgasen gewinnen?
Adrian Brandt: Aus der Luft kann CO2 gefiltert werden. Das funktioniert überall da, wo eine Überproduktion von Energie herrscht – zum Beispiel bei der Windkraft oder Photovoltaikanlagen – oder wo Abwärme entsteht. Diese überschüssige Energie kann verwendet werden, um CO2 aus der Luft zu filtern und beispielsweise in Chemikalien wie Methanol, Ameisensäure, Methan oder Treibstoffe umzuwandeln. Für die Abgasnutzung sind Fermentationsanlagen ein konkretes Beispiel. Diese werden an Stahl- oder Zementwerke oder eine andere Industrieanlage, die viele Abgase verursacht, gestellt. Die Fermentationsanlage saugt das CO2 aus den Abgasen ein und spezielle Bakterien wandeln es in Chemikalien oder Rohstoffe um. Auf diese Weise können in einer solchen Anlage pro Jahr circa 40.000-50.000 Tonnen Ethanol produziert werden.
So lassen sich Materialien auf der Basis von erneuerbarem Kohlenstoff gewinnen