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„Es gibt keine schnellen Lösungen auf dem Weg zur Kreislauf­wirtschaft“

Ein Interview mit Prof. Dr. Christa Liedtke und Dr. Stephan Ramesohl vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie

Verantwortung Verantwortung 25.09.2019

Prof. Dr. Christa Liedtke und Dr. Stephan Ramesohl vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie sprechen darüber, wie Verbraucher durch Labels nachhaltigere Entscheidungen treffen können, warum ein radikales Plastiktütenverbot keine Lösung ist und Deutschland Pionier für eine globale Kreislaufwirtschaft sein sollte.

Frau Prof. Dr. Liedtke: Führt Nudging – also das Anstupsen im übertragenen Sinne – eher zu einer nachhaltigen Entscheidung im Konsum als ein Verbot?

Liedtke: Bisher setzt die Verbraucherpolitik in Deutschland tatsächlich vor allem auf weiche Instrumente und nur da, wo Gefahr droht, beispielsweise bei Grenzwerten. Dazu gehört das Nudging, was im weiteren Sinne auch Kennzeichnungen wie der Blaue Engel oder das Energieeffizienz-Label sein können. Der springende Punkt ist: Wie sehr beeinflusst das Nudge das Verhalten des Verbrauchers? Wir beobachten: Produkte mit Voreinstellungen bewirken, dass diese meist nicht geändert werden. Genauso entscheidend sind die Rahmenbedingungen. Es gibt einen Bericht des Bundesumweltamtes von 2017 mit der klaren Empfehlung, Nudging auf eine gesellschaftspolitische Anwendung zu fokussieren und gewisse Grundprinzipien zu definieren, wann diese eingesetzt werden dürfen. Hohe Transparenz, das heißt eine gesellschaftliche Debatte über den jeweiligen Nudge, ist zum Beispiel eine wichtige Spielregel. Außerdem muss es darum gehen, Menschen zu befähigen und nicht in ihren Wahlmöglichkeiten einzuschränken. Was ist mit einer gesellschaftspolitischen Anwendung gemeint? Nudging sollte von Seiten der Politik in enger Kooperation mit verschiedenen Stakeholdern – und das können unter anderem Unternehmen oder Kommunen sein – betrieben werden. Nicht im Alleingang der Wirtschaft. Das liegt schlicht und einfach daran, dass Nudging tief in das Verhalten eingreifen kann und Missbrauch in jedem Fall verhindert werden muss.

Prof. Dr. Christa Liedtke, Leiterin der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren im Wuppertal Institut und Professorin an der Folkwang Universität der Künste für Nachhaltigkeit im Design

Prof. Dr. Christa Liedtke, Leiterin der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren im Wuppertal Institut und Professorin an der Folkwang Universität der Künste für Nachhaltigkeit im Design

Ramesohl: Neben den Fragen, welches Verhalten ich erreichen möchte, mit welchem Instrument und welche Regeln gelten, finde ich auch ganz entscheidend: Auf welcher Ebene will ich wirken? Natürlich haben wir die meisten Probleme im globalen Maßstab, mit globalen Wechselwirkungen. Trotzdem sollten wir nicht den Fehler machen, nur das zu tun, was sich direkt global umsetzen lässt. Ich bin davon überzeugt, dass wir aus Deutschland heraus wichtige Impulse für europäische Initiativen setzen können.

Wenn wir uns die Debatte um eine Ampel-Kennzeichnung bei Lebensmitteln anschauen: Glauben Sie, dass es etwas ähnliches für Recycling geben könnte, um die Bewertung eines Produkts für den Verbraucher so einfach wie möglich zu gestalten?

Liedtke: Das kann ich mir tatsächlich gut vorstellen, da es im Bereich Recycling von Plastik vergleichsweise einfach umzusetzen ist. Wir diskutieren aktuell auf politischer Ebene, wie wir eine solche übergreifende Recycling-Kennzeichnung gestalten können. Aus meiner Sicht ist Vereinfachung ein wesentlicher Erfolgsfaktor – und zwar auf mehreren Ebenen: Selbstverständlich muss sich die Information einfach ablesen lassen. In einem nächsten Schritt muss es aber auch leicht sein, nachhaltig zu handeln. Sprich: Im Moment kann der Verbraucher ganz einfach zur Plastiktüte greifen. Das bedeutet, dass die Alternative genauso einfach sein sollte. Das ist eine Frage der Gestaltung, des Designs. Bisher wird aber nur in Prozesstechnik gedacht.

Ramesohl: Allgemeiner gesprochen: Veränderung kommt nur dann zustande, wenn Handlungsbereitschaft mit Handlungsfähigkeit verbunden ist. Die Handlungsbereitschaft bildet sich vor allem in der öffentlichen Debatte. Sie ist sehr fragil und folglich bei einem Missbrauchsverdacht schnell verflogen. Ein Beispiel ist die Fleischindustrie, die mit ihren eigenen Labeln kein hohes Vertrauen beim Verbraucher genießt. Wie wichtig der zweite Schritt ist, wurde gerade betont: Nehmen wir an, ich bin motiviert, im Supermarkt die „richtige“ Wahl zu treffen. Dafür brauche ich einen einfachen Weg, A von B – zum Beispiel durch ein Label – unterscheiden zu können. Damit das funktioniert, müssen das jeweilige Label und die Prozesse dahinter glaubwürdig sein.

Dr. Stephan Ramesohl, Leiter des Forschungsbereichs Digitale Transformation in der Abteilung Kreislaufwirtschaft im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie

Dr. Stephan Ramesohl, Leiter des Forschungsbereichs Digitale Transformation in der Abteilung Kreislaufwirtschaft im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie

Was halten Sie denn vom aktuell breit diskutierten Plastiktütenverbot? Und als Frage, die darüber hinaus geht: Wie können Hersteller, Zulieferer und Handel zusammenarbeiten, um in der öffentlichen Diskussion über Plastik nicht in simple Schwarz-Weiß-Betrachtungen zu rutschen?

Ramesohl: Wir geraten natürlich immer in Schwierigkeiten, wenn wir einem relativen Problem mit einer sehr radikalen Lösung wie einem Verbot begegnen. Ein Verbot ist eigentlich das letzte Mittel, zu dem wir greifen sollten. Und wenn ja, in welchem Fall? Zum Beispiel zur akuten Schadensabwehr, zum Schutz der Gesundheit. Derart zugespitzt: Erfüllt die Plastiktüte diese Kriterien? Hier entsteht also ein Glaubwürdigkeitsproblem, da eine extreme Maßnahme (nämlich ein striktes Verbot) für ein vergleichsweise kleines Problem gewählt wird. Ich bin überzeugt, dass wir alle – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – lernen müssen: Es gibt keine absoluten, schnellen Lösungen, sondern wir sind auf einem Weg. Wir müssen viele verschiedene, vielleicht auch kleinere Schritte in die richtige Richtung gehen, um uns der Kreislaufwirtschaft anzunähern. Das ist natürlich deutlich mühseliger in der Kommunikation und Umsetzung. Zurück zu konkreten Beispielen: Interessant finde ich etwa zu beobachten, dass das Bio-Label bei Lebensmitteln mittlerweile eine gewisse Robustheit erreicht hat. Vereinzelte Lebensmittelskandale haben das Vertrauen in das Label selbst nicht beschädigt. Das bedeutet: Das System muss nicht perfekt, aber richtungssicher und lernfähig sein. Radikalpositionen wie das Plastiktütenverbot sind wiederum besonders anfällig für Missbrauch, Umgehung, Widerspruch und Enttäuschung beim Verbraucher. Dieses Wechselbad der Gefühle von Aufmerksamkeit für ein Problem, anschließende Euphorie über eine vermeintlich einfache und schnelle Lösung und anschließendem Frust sollte aus meiner Sicht unbedingt vermieden werden.

Steht das der Plastikdebatte auch bevor?

Ramesohl: Solange der Eingriff in die Natur durch einen Stoff, der nicht vergeht, weiterhin besteht, bleibt diese Debatte heiß. Reaktionen wie das Plastiktütenverbot laufen auf jeden Fall Gefahr, sich so zu entwickeln. Um es ganz deutlich zu machen: Wenn wir uns die Ökobilanz des Beitrags von einem Plastiktütenverbot zur Klimaschutzpolitik in Deutschland anschauen, sind wir schnell in der Nachkommastelle. Das erkennt natürlich auch die Bevölkerung und wendet sich ausgelöst durch ein einzelnes Verbot ohne wirkliche Relevanz möglicherweise vom eigentlich wichtigen Thema des Natur- und Klimaschutzes ab.

Welche Rolle kann die Verpackungsindustrie für nachhaltige Lösungen spielen?

Liedtke: Wir brauchen in jedem Fall mehr Innovationen. Wenn wir vor allem die Materialwahl beschränken, stärken wir letztlich nur das vorhandene System, die vorhandenen Produktions-Konsumstrukturen. Das ist ein entscheidender Unterschied in der Herangehensweise: Wir bewegen uns nicht nur im bestehenden System, sondern arbeiten auch daran, das Verpackungssystem zu transformieren – sprich nachhaltiger – zu machen.

Ramesohl: Ganz genau – und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das ist nämlich aus meiner Sicht eines der Hauptprobleme der jetzigen Situation: dass jeder nur bis an sein Werkstor, seine Ladentür denkt. Die Verantwortung geht weiter. Auch wenn der Kunde einkauft und damit Herr oder Herrin der Plastiktüte wird, ist er oder sie Teil eines Gesamtsystems. Lösungen müssen also ganzheitlich gedacht werden. Alle Akteure – von der Politik, die die Rahmenbedingungen setzt, über Hersteller und den Handel bis hin zu den Verbrauchern – tragen eine gemeinsame Verantwortung.

Wir sind uns alle einig, dass Plastik nicht in die Umwelt gelangen sollte…

Liedtke: Das ist richtig und gleichzeitig möchte ich auf einen Punkt hinweisen: Aktuell steht der Verbraucher mit seinem Verhalten in der Kritik. Ich finde, dass wir in Deutschland ein gut funktionierendes System haben, in dem relativ viel recycelt wird. Natürlich können sogenannte Fehlwürfe noch verbessert werden. Aber: Global gesehen stehen wir vor der Herausforderung von vermüllten Stränden und Ozeanen und einer Recycling-Wirtschaft vor Ort der Verschmutzung, die oftmals nicht menschenwürdig und ökologisch ist. Hier hat Deutschland die Aufgabe zu zeigen, wie Recycling funktionieren kann: mit einem innovativen Verpackungssystem, modernen Anlagen und einem ressourcenschonenden Kreislauf vom Hersteller über den Handel zum Verbraucher und zurück. Systeme, die einer Verlagerung des Mülls von uns in andere Länder vorbeugen, qualitativ hochwertige Kreisläufe für die verschiedenen Materialien schaffen und die auch woanders sehr gut funktionieren können – sozial, ökologisch und ökonomisch. Wichtig ist es, den im Kreislauf geführten Anteil in den Produkten zu steigern. Darüber sagt die bisherige Recyclingquote noch nichts aus.