Story

„Big Data war noch nie so spannend wie heute.“

Interview mit Thomas Zeutschler, Big Data-Experte bei Henkel

Digitalisierung 01.06.2017

Welches Produkt ist bei Kunden in einer bestimmten Region besonders beliebt? Trifft ein neuer Duft den Geschmack der Konsumenten? Und wie lassen sich Produktion und Logistik bestmöglich auf die Nachfrage abstimmen? Thomas Zeutschler findet Antworten auf diese Fragen. Er leitet das Analytics Center of Excellence von Henkel. Seit 2015 bündelt er mit seinem Team die Big Data-Kompetenzen des Konzerns.

Herr Zeutschler, als Head des Analytics Center of Excellence sind Sie einer der Vordenker für Big Data bei Henkel. Welche Bedeutung hat das Thema für den Konzern?
Datenanalysen geben uns die Chance, Strukturen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Das ist für alle internen Prozesse wichtig. Die Analysen liefern uns aber auch wertvolle Erkenntnisse über unsere Märkte, Trends und die Bedürfnisse der Kunden. Big Data hilft uns in allen Bereichen zu lernen und besser zu werden.

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Thomas Zeutschler ist der Big Data-Experte bei Henkel – er leitet das Analytics Center of Excellence des Unternehmens.

Warum ist das nötig?
Wie die meisten Konsumgüter- und Industriehersteller wollen wir verstehen, warum Kunden den einen Artikel kaufen und den anderen nicht. Gleichzeitig haben wir sehr hohe Ansprüche an die Produktqualität – und wollen unsere internen Prozesse einfach und nachhaltig gestalten und optimal aufeinander abstimmen. Bei Henkel haben wir immer schon mit großen Datenmengen gearbeitet. Mit Big Data kommen nun neue Methoden und Technologien hinzu, die uns erlauben, unterschiedliche Informationen miteinander zu kombinieren und daraus Schlüsse zu ziehen.

Ihre Abteilung wurde 2015 gegründet. Wie kam es, dass sich Henkel für ein eigenes Big Data-Team entschieden hat – und wie arbeiten Sie?
Wir haben schon früh erkannt, dass die Analyse neuer Datenquellen – wie z.B. Social Media oder auch Sensordaten – immer wichtiger wird. Wir konnten zwar auf langjährige Erfahrungen bei der Auswertung von Daten aufbauen, Big Data funktioniert aber nochmal ganz anders. Es sind einerseits viel mehr und auch andere Daten – oft auch unstrukturiert, ungeordnet und unvollständig. Andererseits sind auch die Fragestellungen ganz andere. Sie richten sich zumeist in die Zukunft: Wie wird sich der Umsatz in einer bestimmten Region entwickeln? Wann muss die Ware das Werk verlassen, damit sie pünktlich beim Kunden ankommt? Welchen Kunden spreche ich wann und wie an?

Wie findet man Antworten auf solche komplexen Fragen?
Die mathematischen Verfahren dahinter sind oft kompliziert und extrem rechenintensiv. Oft ist auch im Vorhinein gar nicht klar, welche Verfahrungen die besten Ergebnisse liefern. Es geht also auch um probieren, wieder verwerfen und neu durchdenken. All das erfordert ein anderes, sehr agiles und kreatives Arbeiten – gepaart mit mathematisch-statistischem und technischem Wissen. Der Begriff „Data Science“ trifft es ganz gut. Deshalb haben wir auch ein dediziertes Team für Analytics und Big Data-Management. Wir stellen die notwendige Expertise und Tools bereit, damit die verschiedenen Teams bei Henkel auf Basis von Daten schnellere und bessere Entscheidungen treffen können.

Woran arbeiten Sie konkret?
Die Themen sind sehr vielfältig. Unsere Projekte bilden die gesamte Wertschöpfungskette ab. In einem Fall ging es zum Beispiel um Haarcolorationen. Diese Produkte haben sehr enge Vorgaben, schon kleinste Abweichungen in der Rezeptur verändern das Ergebnis. Wir wollten die sogenannte Rework-Rate senken, also den Aufwand, der  für die optimale Dosierung nötig ist, um bei der Produktion schon beim ersten Mal das perfekte Ergebnis zu erzielen. Dafür haben wir mehrere Datentöpfe kombiniert: Was soll hergestellt werden, wie sehen die Rezepturen aus? Was melden die Sensoren der Maschinen in der Produktion und wie sehen die Qualitäten der aktuellen und früheren Proben aus? Diese Informationen aus den unterschiedlichen Datenquellen zu verknüpfen, war dabei durchaus komplex.

Erklären Sie uns bitte, wie das funktioniert.
Unser System kann auf Basis historischer Daten eine Vorhersage treffen und mögliche Probleme bei der Produktion im Vorhinein identifizieren. Der Mitarbeiter sieht dann zum Beispiel sofort, was es für die Produktqualität bedeuten würde, wenn er eine Zutat in einer bestimmten Menge zugeben würde. Solche Ansätze lassen sich erstaunlicherweise auch auf ganz andere Bereiche wie die Logistik übertragen.

„Bei unserer Arbeit geht es zu etwa 80 Prozent darum, Daten so aufzubereiten, dass sie sich zusammenführen lassen.“

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Gemeinsam mit seinem Team beschäftigt sich Thomas Zeutschler mit vielfältigen Fragestellungen – und damit, bei welchen Themen Big Data zukünftig eine noch größere Rolle spielen kann.

Sie nutzen viele interne Informationen aus der Wertschöpfungskette von Henkel. Sind die für Ihre Fragestellungen nicht langweilig?
Im Gegenteil! Interne Daten sind meiner Meinung fast wertvoller als externe. Auf diese Informationen können wir uns verlassen, sie sind vorhanden und leicht zu steuern. In den vergangenen Jahren sind viele granulare Informationen hinzugekommen, die wir sinnvoll  miteinander kombinieren können. Jede Maschine und jedes Produkt sendet Daten, daraus wird dann Big Data – Informationen aus vielen unterschiedlichen Quellen.

Welche Daten ziehen Sie außerdem heran?
Wechselkurse zum Beispiel oder Wetterdaten. So haben wir unser erstes digitalisiertes Produkt für Konsumenten in Südkorea entwickelt, das per Smartphone gesteuert werden kann: Home Mat Home Control. Der Mückensprayspender hat eine Schnittstelle zu einem großen Wetterdienst mit Moskitovorhersage. Nur bei einer entsprechenden Witterungslage gibt das Produkt eine konkret berechnete Dosis des Schutzmittels ab. Es ist schlauer, zuverlässiger und sparsamer. 

Kritiker werfen oft ein, dass durch das Datensammeln ein gläserner Kunde geschaffen wird.
In Deutschland und der EU hat die Gesetzgebung klare Regeln geschaffen. Und Henkel hat für sich selbst strenge Grenzen definiert. Daten nutzen wir ausschließlich für den Zweck, zu dem wir sie erhalten haben. Wer seine Adresse für ein Gewinnspiel hinterlässt, möchte an diesem teilnehmen. Mehr nicht. Ich selbst habe überhaupt keinen Zugriff auf personenbezogene Daten, genauso wie mein Team. Uns interessiert auch gar nicht, was eine individuelle Person tut. Wichtig ist zu sehen, wie sich eine Gruppe verhält.

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„Wir wollen stärker vernetzt sein und dazu entlang der Wertschöpfungskette künftig noch mehr Informationen untereinander austauschen.“

Und wie geht es mit Big Data Analytics weiter?
Wir wollen stärker vernetzt sein und dazu entlang der Wertschöpfungskette künftig noch mehr Informationen untereinander austauschen. So können wir erfahren, wie die Kunden ein neues Produkt annehmen, und den Handel dabei unterstützen, noch besser zu planen. Ein Pilotprojekt setzen wir gerade mit einem Handelspartner in Großbritannien um. Normalerweise erhalten wir Verkaufszahlen erst zwei Wochen, nachdem ein neues Produkt im Supermarktregal steht. In der Zwischenzeit kann der Bestand gegen Null gehen oder aber der Artikel wurde kaum nachgefragt – wir wissen es nicht. Unser Handelspartner in Großbritannien liefert uns nun die Verkaufszahlen täglich. Damit können wir Produktion, Logistik und unsere Werbeausgaben kurzfristig anpassen. Davon profitiert auch der Handel.

Viele Unternehmen haben Mühe, die passenden Experten zu finden, um ihre Digitalkompetenzen auszubauen. Wie steht Henkel im Wettbewerb um Talente da?
Es stimmt, die „Data Scientists“ sind umkämpft. Und die haben natürlich erst einmal Big Player wie Google und Co. im Kopf.  Aber auch wir haben einiges zu bieten: Bei uns arbeiten Data Scientists an sehr unterschiedlichen Projekten. Das macht Spaß und ist abwechslungsreich. Sobald ich Studenten von unserer Arbeit erzähle, sind sie Feuer und Flamme. Mir selbst geht es nicht anders. Ich bin schon eine Weile in diesem Beruf und muss sagen: Es war noch nie so spannend. Wir suchen allerdings keine Mathegenies. Die größte Fähigkeit eines guten „Data Scientisten“ ist es nicht, einen Algorithmus in der Tiefe zu begreifen. Vielmehr muss er erkennen, wie eine Kombination von Daten dabei hilft, eine Fragestellung zu beantworten, welcher Algorithmus dafür der richtige ist und wie man das Ergebnis zu interpretieren hat und auch nutzen kann. Dafür muss er zuerst unser Geschäft verstehen.

Ideen, die ganze Branchen verändern, kommen heute von Start-ups – auch beim Thema Datenanalyse. Hängen die Sie in Sachen Innovation bald ab?
Wir beobachten unsere Märkte sehr genau. Henkel ist eine große Organisation. Um Schritt zu halten, bedarf es einer neuen Agilität wie viele Start-ups sie vorleben. Von diesen kreativen Unternehmen können wir uns einiges abschauen. Außerdem gibt es verschiedene Formen der Kollaboration – indem wir zum Beispiel einzelne Dienstleistungen nutzen oder mit solchen jungen Unternehmen zusammenarbeiten. Das entspricht auch dem Open Innovation-Ansatz von Henkel: Wir öffnen uns nach außen, um disruptive Ideen umzusetzen.